News|Optik aus Luft: Gasbasierte Sonophotonik als neue Plattformtechnologie

Optik aus Luft: Gasbasierte Sonophotonik als neue Plattformtechnologie

Hamburg / Deutschland24.03.2025

Die Photonik, also die Erzeugung, Erkennung und Manipulation von Licht mit optischem Gerät, ist aus der modernen Welt nicht wegzudenken. Angefangen von der Brille, die viele auf der Nase tragen, über die Apparate, mit denen wir fotografieren, und Glasfaserkabel, durch die wir unsere Internet- und Kommunikationssignale senden, bis hin zur Lasertechnik, die in allen möglichen modernen elektronischen Geräten steckt – optische Elemente haben höchste Relevanz für unseren Alltag. Und fast alle haben sie eines gemein: Sie basieren auf der Interaktion von Licht bzw. Photonen mit Festkörpern. Ob das speziell geformte Glaslinsen, Glasfasern, Spiegel, Prismen oder Filter sind – immer geht es darum, das Licht auf bestimmte Art und Weise zu fokussieren, zu streuen, zu filtern oder seine Richtung zu ändern. Damit erzielt man verschiedenste optische Effekte, die uns von Nutzen sind.

„Die Frage, die wir bei der DESY-Forschungsgruppe Ultrafast Photonics gestellt haben, war: Muss das eigentlich durch die Interaktion mit einem Festkörper sein?“ sagt Gruppenleiter Christoph Heyl. „Und unsere Antwort war: Nein, muss es nicht.“

Es ist ja bekannt, dass Licht sich auch durch Dichteunterschiede in Gasen und Flüssigkeiten ablenken lässt. Das sehen wir etwa, wenn sich an heißen Sommertagen der Himmel an der warmen Luft über dem Asphalt spiegelt. Die Idee von Heyls Team war: Man müsste solche optischen Effekte in der Luft oder einem Gas gezielt herbeiführen und damit das Licht kontrollieren. Und zwar mit Schall. Denn Schallwellen sind nichts anderes als Druck- und Dichteschwankungen der Luft. Wenn es also irgendwie gelänge, der Luft mit intensiven Schallwellen bestimmte Dichte-Muster aufzuprägen, so dass sie das Licht auf gewünschte Weise modifizieren, könnte man auf Linsen, Spiegel oder andere feste optischen Elemente verzichten.

Vielseitige Anwendbarkeit

„Das hätte in vielen Anwendungsgebieten Vorteile“, sagt Heyl. In der Materialbearbeitung zum Beispiel, der Halbleitertechnik, Energietechnik, Beschleunigertechnik und Medizintechnik. Insbesondere dort, wo Hochleistungslaser im Einsatz sind. Denn die können so energiereich sein, dass herkömmliche optische Elemente unter Dauerbeschuss recht schnell kaputt gehen. „In einigen Bereichen geraten bisherige Optiken an ihre Grenzen“; berichtet Heyl. „Laserbasierte Teilchenbeschleuniger etwa erfordern enorme Lichtleistungen. Und die Kernfusion mit Lasern, an der viele Gruppen weltweit forschen, weil sie enormes Potential für die zukünftige Energieversorgung birgt, bedarf da ebenfalls einer neuen Lösung.“

Zumal nicht nur die optischen Elemente leiden. Auch die Qualität des Laserstrahls selbst verschlechtert sich, wenn Laserpulse mit hoher Leistung durch Glas oder andere Festkörpermaterialen gesendet werden. Gas dagegen ist quasi unzerstörbar und mindert auch nicht die Brillanz des Laserstrahls. Zudem wäre diese berührungslose Form der Lichtmodulation nicht statisch, sondern adaptiv. Das heiß, man braucht keine optischen Elemente auszutauschen, um die Photonen in anderer Form abzulenken, sondern könnte das gasförmige optische Gitter während des Einsatzes neu justieren. „Es ist sogar denkbar, das regelrecht zu programmieren“, sagt Heyl.

Neue akustische Wandler dank starker Partner

Allerdings wurde den Forschern schnell klar: Um der Luft solche Schallmuster aufzuprägen, sind Ultraschallwandler mit einem Schalldruck erforderlich, wie es sie bis dato noch gar nicht gab. „Wir haben bei verschiedenen Firmen angerufen, die akustische Wandler herstellen und gefragt, ob sie uns ein Gerät mit etwa 160 Dezibel liefern können“, erzählt Heyl. „Die dachten, wir wollen sie auf den Arm nehmen und haben aufgelegt.“

Stattdessen wandte sich Heyls Team an Spezialisten aus der Ultraschall-Forschung, um einen Wandler mit der nötigen Leistung zu entwickeln. Gemeinsam mit einem Team um Mario Kupnik von der TU Darmstadt und dem Ultraschallgeräte-Hersteller Inoson GmbH im Saarland gelang es, einen Wandler zu entwickeln, der es bei einer Frequenz von 500 Kilohertz immerhin auf mehr als 140 Dezibel bringt. „Schon das entspricht dem Schalldruck eines aufheulenden Düsentriebwerks in wenigen Metern Entfernung“, sagt Kupnik. Wobei man dazusagen muss, dass Schall bei dieser hohen Frequenz für Mensch und Tier nicht hörbar und daher ungefährlich ist. Der Schalldruck dieser Stärke reichte jedenfalls aus, um proof of principle-Experimente durchzuführen – also zu zeigen, dass die Idee vom Prinzip her funktioniert.

Den Partnern gelang es, mit dem auf diese Weise erzeugten optischen Gitter aus unterschiedlich dichten Luftschichten den Infrarotlaser-Puls eines 20 Gigawatt-Lasers mit einer Effizienz von über 50 Prozent abzulenken. Dabei ließen sich die Eigenschaften des Gitters und damit die Ablenkung über Frequenz und Intensität des Schalls steuern.

Finanziert werden die Arbeiten des Teams unter anderem von der Carl-Zeiss-Stiftung im Rahmen des Projekts SOPHIMA mit 750.000 Euro: „Das Projekt stellt einen hoch innovativen Ansatz dar, Licht zu kontrollieren und hat das Potenzial, die Anwendung der Photonik in den Technologien der Lebenswissenschaften und vielen anderen Feldern zu erleichtern“, sagt der Geschäftsführer der Stiftung Felix Streiter. An dem Projekt beteiligt sind auch die Hochschule Aalen, die Universität Hamburg und das Helmholtz-Institut Jena.

„Natürlich wollen wir die Methode weiter optimieren und nicht zuletzt durch noch stärkere Wandler Effizienzen der Lichtmodulation von über 90 Prozent erreichen“, sagt Christoph Heyl. Doch schon auf die Veröffentlichung der proof-of-principle-Studie hätten sich zahlreiche Interessenten auch aus der Industrie gemeldet. Der Bedarf für eine solche Technik ist also groß.

Gamechanger für Forschung und Industrie

Den beteiligten Forschenden ist klar, dass die gasbasierte Sonophotonik, falls ihre Weiterentwicklung hält, was sie verspricht, zu einem Gamechanger für Forschung und Industrie werden kann. Sie stellt einen völlig neuen Ansatz der Optik dar, eine mögliche Plattformtechnologie mit Anwendungen in verschiedensten Zukunftsmärkten von der Lasertechnik über neue Materialien bis hin zur Medizin – die Potenziale erscheinen schier endlos. „Diese Form der Kontrolle von Laserstrahlen bei höchster optischer Leistung bietet hervorragende Aussichten für viele unserer faserbasierten Produkte, zum Beispiel im Bereich der Energieerzeugung durch Laserfusion“, sagt zum Beispiel Thomas Theeg, CEO von FiberBridge Photonics, einem Hersteller von optischen Faserkomponenten. Und Björn Betz vom Fraunhofer-Institut für Photonische Mikrosysteme IPMS sieht „spannende Möglichkeiten für ein wirklich interdisziplinäres Gebiet, das Optik und Schalltechnologien miteinander verbindet. Dies bietet hervorragende Chancen, neue Märkte zu erschließen.“

Umso wichtiger ist das Mitwirken von Partnern aus der Industrie schon in diesem frühen Stadium. Insbesondere solchen, die die neue Technologie nicht nur entwickeln, sondern auch anwenden wollen. „Wir sind vor allem Grundlagenforscher“, sagt Heyl. „Zwar forschen und entwickeln wir in vielen Projekten durchaus anwendungsorientiert. Doch industrielle Partner können nochmal eine ganz andere Perspektive einbringen. Vor allem hinsichtlich Kosteneffizienz und Nutzerfreundlichkeit der zu entwickelnden Technologie.“ Für den gesellschaftlichen Nutzen und gute Marktchancen seien diese Aspekte genauso wichtig wie die technische Funktionstüchtigkeit. Und umgekehrt sei es natürlich für Unternehmen sehr interessant, bei der Entwicklung einer neuen Technologie von Beginn an dabei zu sein, um zu den first movern zu gehören und so nicht zuletzt Wettbewerbsvorteile zu erlangen.

Hi-Acts bringt die richtigen Forschenden und Industriepartner zusammen

Um solch produktive Kooperationen auch für das neue Projekt zu finden und so Methoden der gasbasierten Sonophotonik zur Marktreife weiterzuentwickeln, kam der Gruppe um Christoph Heyl daher Hi-Acts wie gerufen. Denn die Innovationsplattform ist genau dazu da: Forschende und passende Industriepartner frühzeitig zusammenzubringen und ihren interdisziplinären Austausch zu gestalten. „Im Juni 2024 machte mich eine Kollegin auf Hi-Acts aufmerksam und sagte, ich solle mich doch mal mit deren Innovation Manager Johannes Blum unterhalten“, berichtet Heyl.

Im Gespräch erörterten die beiden die Vorteile einer Zusammenarbeit beim neuen Projekt: Hi-Acts bietet Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern vielerlei Möglichkeiten, ihre Themen und innovativen Entwicklungen nach außen darzustellen und neue Kooperationspartner zu gewinnen – insbesondere aus einem anwendungsnahen und industriellen Umfeld. Zum Beispiel auf den Netzwerktreffen, eigenen Webinaren und anderen Events in Kooperation mit Branchennetzwerken oder -Clustern. Zudem kennt sich das Hi-Acts-Team bestens mit öffentlichen Förderprogrammen aus, ja bietet sogar selbst Fördermittel an wie etwa im Rahmen der sogenannten Use Case Initiatives. Für die kommende Arbeit an der gasbasierten Sonophotonik beteiligt sich die Plattform zum Beispiel an der Finanzierung einer Post-Doc-Stelle. „Finanzielle Mittel – ob sie nun von Unternehmen oder öffentlichen Stellen kommen, helfen natürlich immer sehr, die Entwicklung einer neuen Technologie zu beschleunigen“, sagt Heyl.

Aber auch der reine Austausch mit Industriepartnern könne sich als äußerst fruchtbar erweisen und ist daher von großer Bedeutung: Zum einen lassen sich gemeinsam leichter Gelder einwerben. Zum anderen lässt sich die time-to-market verkürzen: „Je früher wir solche Partner mit im Boot haben und je besser wir dadurch mögliche Anwendungen und damit zusammenhängende Aspekte kennen, desto gezielter können wir daraufhin Entwicklungen anpassen“, sagt Heyl.

Im Idealfall wird es nur wenige Jahre dauern, bis erste Systeme, die Methoden der gasbasierten Sonophotonik nutzen, konkrete Anwendung finden. Womöglich sogar bei DESY selbst: Ein erstes Einsatzfeld könnten Laser-Plasma-Beschleuniger sein, die aktuell von DESY unter enger Mithilfe von Hi-Acts federführend entwickelt werden. Das sind ultrakompakte und doch sehr energiereiche Elektronenbeschleuniger, die sowohl in der Forschung als auch in der Medizin von großem Nutzen wären. „Das Problem bislang ist der enorm hohe Elektronenfluss, den solche Beschleuniger benötigen, die bisherige Lasertechnik jedoch noch nicht hergibt“, berichtet Heyl. Lösen könne man das vielleicht, indem man die Laserpulse sozusagen übereinanderstapelt. Dafür jedoch muss man die ohnehin schon sehr starken Pulse präzise lenken. Und genau das kann womöglich demnächst die gasbasierte Sonophotonik leisten.

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